Zyklus-Apps zur Verhütung – sicher oder Gesellschaftsspiel?

Sind Zyklus-Apps zur Verhütung sicher? Die nachfolgende Veröffentlichung aus dem Springer Verlag fasst die Erkenntnisse der Studien zusammen

Einleitung und Zielsetzung

Der riesige Markt für Gesundheits-Apps hat in den letzten Jahren den weiblichen Zyklus und die Prognose des fertilen Fensters entdeckt. Die Idee ist, dass die App mit den erhobenen Zyklusdaten ein fertiles Fenster bestimmt. Das Prinzip ist nicht neu. Unter dem Begriff Natürliche Familienplanung (NFP) wurden seit den 1960er- Jahren verschiedene Methoden entwickelt. Neu ist lediglich, dass die modernen und nutzerfreundlichen Programme die Auswertung der Beobachtungen bzw.
Messungen für die Nutzerin übernehmen.

Oft gehen Anwenderinnen von einer tatsächlich nicht vorhandenen Sicherheit aus

Was den Wirksamkeitsnachweis angeht, ist der Markt derzeit keiner adäquaten Prüfung unterworfen. Die Anwenderinnen gehen oft von einer in Wirklichkeit nicht vorhandenen Sicherheit aus, v. a. wenn Apps allenthalben mit einem CE(Communauté Européenne)-Kennzeichen, TÜV(Technischer Überwachungsverein)-Siegeln oder neuerdings sogar mit einer FDA(Food and Drug Administration)-Zulassung werben, wie etwa die App Natural Cycles. Diese Kennzeichnungen sagen aber nichts über ihre Eignung zur korrekten Anzeige des fertilen Fensters oder gar über ihre Verhütungssicherheit aus. Die genannten Institutionen bewerten bisher nur die vom Hersteller zur Verfügung gestellten Dokumente und Materialien und führen keine eigenen Untersuchungen zur Verhütungssicherheit durch [3].

Ein Teil der Apps ist „nur“ für die Kinderwunschsituation bzw. zum kompetenten Zyklusmonitoring ausgewiesen. Eine eigene Arbeit bezüglich der Eignung der Apps zur Feststellung des fertilen Fensters für den Kinderwunsch hat neben wenigen akzeptablen Apps überwiegend nicht geeignete identifiziert [10]. Eine problematische Situation besteht, wenn diese Apps nicht eindringlich darauf hinweisen, dass sie nicht für eine sichere Empfängnisverhütung geeignet sind. Die Praxis zeigt nämlich, dass Paare diese Apps auch zur Verhütung benutzen, indem sie in der angezeigten fruchtbaren Phase keinen ungeschützten Sexualverkehr haben.

Bisherige Übersichtsarbeiten haben zu wenig auf die Verhütungssicherheit abgehoben [6]. Dies ist besonders bei den Apps ein Problem, die bisweilen eine kontrazeptive Sicherheit ähnlich der Pille für sich reklamieren. Der Berufsverband der Frauenärzte hat sich deshalb jüngst auch höchst besorgt über diese Entwicklung geäußert.

Die vorliegende Arbeit soll eine Übersicht über derzeit erhältliche Zyklus-Apps geben, insbesondere über im hiesigen Raum verwendete Programme.

Zyklus-Apps im Überblick

Die aktuell meist verwendeten Apps kann man folgendermaßen einteilen (Tab.1)

    1. Prognose-Apps

Hierbei wird die fruchtbare Phase anhand von Daten aus vergangenen
Zyklen prognostiziert: meist frühere Zykluslängen, manche auch aus
früheren Temperaturanstiegen

  1. Bestimmung der fruchtbaren Phase
    im aktuellen Zyklus
      • a) NFP Apps

    Hierbei beobachtet die Anwenderin Symptome (Temperatur und
    Zervixschleim), aus denen die App die fruchtbare Phase im jeweils
    aktuellen Zyklus bestimmt, nach Algorithmen, die auf bekannten
    NFP-Methoden basieren. Im angloamerikanischen werden sie als
    „fertility awareness based apps“ bezeichnet.

    • b) Zyklus-Apps mit assoziierten Mess-
      systemen

Zu diesen zählen Apps, die z. B. die Messung von Hormonen im Urin oder von neuen, noch experimentellen Parametern auswerten.

Tabelle Zyklus Apps

Gynäkologe https://doi.org/10.1007/s00129-018-4358-6
© Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von
Springer Nature 2019

Kriterien zur Beurteilung von Apps

Die Beurteilung der Apps beruht auf folgenden Kriterien:

  • Auf welche Methode/welchen Algorithmus stützt sich die Bestimmung  des fertilen Fensters? Werden die Basics der Zyklusphysiologie berück-
    sichtigt?
  • Studienlage zur zugrundeliegende
    Methode/Algorithmus/Parameter
  • Studienlage zur App selbst logisch gegebenen Grundlagen des weiblichen Zyklus berücksichtigten.

Zur Klärung der grundsätzlichen Funktionsweise wurden einige Apps zusätzlich anhand von konkreten Szenarien überprüft.

Grundvoraussetzung: Berücksichtigung der physiologischen Bedingungen des weiblichen
Zyklus

Alle Zyklus-Apps, die Angaben zum fertilen Fenster machen, müssen die physiologisch gegebenen Grundlagen des weiblichen Zyklus berücksichtigten

Die individuelle Variabilität des Zyklus ist erheblich: Die „normale“ Zyklus-
länge schwankt bei zwei Dritteln aller Frauen um mehr als 7 Tage [15, 20], d. h. die Ovulation und damit das fertile Fenster verschieben sich ebenfalls von Zyklus zu Zyklus und können nicht vorhergesagt werden.

Die intraindividuelle Variabilität des Zyklus ist erheblich

Hinzu kommt: Die Ovulation ist der direkten Beobachtung weitgehend entzogen und deshalb nur mit indirekten Parametern nachweisbar, die ihrerseits eine gewisse Schwankungsbreite aufweisen (z. B. Zervixsekret, Temperaturanstieg, LH-Anstieg, andere „home use“ Parameter).

Beurteilung

Prognose-Apps

Die in all diesen Apps angezeigte fruchtbare Zeit fußt lediglich auf (mehr oder weniger) gemittelten Daten vorangegangener Zyklen, meist der Zykluslänge (Tab. 1). Informationen aus dem aktuellen Zyklus spielen keine Rolle: Obwohl teilweise auch andereParameter eingetragen werden können, werden diese in der Auswertung nicht berücksichtigt. Anfangs wird ein 28-Tage-Zyklus zugrundegelegt oder die „gefühlte“ Zykluslänge abgefragt. Die Problematik anhand eines Fallbeispiels zeigt. Tab. 2: Im ersten Nutzerzyklus wird zunächst offensichtlich von einem 28-Tage-Zyklus ausgegangen und dann wird entsprechend „korrigiert“. Dabei wird für Zyklus 2 (32 Tage) die mutmaßliche Ovulation zu früh angesetzt, für den Zyklus 4 (27 Tage) zu spät, was natürlich eine Fehlanzeige des fertilen Fensters nach sich zieht. Nicht täuschen lassen sollte man sich von jenen kalkulothermalen Apps, die den aussagekräftigen Temperaturanstieg
zwar bestimmen, ihn jedoch nicht für den aktuellen Zyklus verwenden, sondern lediglich für die Prognose der Ovulation im Folgezyklus (u. a. Natural Cycles, Ovolane, OvulaRing). Mit dieser Vorgehensweise sind sie den reinen Kalender-Apps ähnlich. Der Aufwand der Temperaturmessung ist quasi umsonst, da es für die Ovulation im aktuellen Zyklus unerheblich ist, mit welchen Methoden sie in vergangenen Zyklen bestimmt wurde. Außerdem prognostizieren kalkulothermale Apps wie Natural Cycles das fruchtbare Fenster zunächst ebenfalls aus der Zykluslänge. Jene Apps, die von einem „lernenden Algorithmus“ sprechen, greifen lediglich auf eine zunehmend größere Datenbasis für ihre Durchschnittsberechnungen zurück, was am prinzipiellen Problem nichts ändert. In einer aktuellen Studie von Johnson et al. (949 Zyklen) lag die Genauigkeit der Apps bei der Ovulationsvorhersage (LH-Anstieg) bei lediglich 21 % ([15]; vgl. [10,
12]). In einer Pilotstudie zu OvulaRing (470 Zyklen) wurde in 17 % die Ovulation nicht entdeckt und in weiteren 11 % war die Prognose komplett falsch [21]. Diese Ergebnisse spiegeln das fehlende Berücksichtigen der Zyklusphysiologie wieder. Vom Gebrauch von Prognose-Apps ist deshalb prinzipiell abzuraten.

Prinzipiell ist von Prognose-Apps abzuraten

Zur amerikanischen App DOT, welche die gesamte Schwankung vergangener Zykluslängen berücksichtigt (keine Durchschnitte), sind die endgültigen Ergebnisse abzuwarten [14].

Prognostizierte Ovulation Zyklusapps

Tab1: Gynäkologe https://doi.org/10.1007/s00129-018-4358-6
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Springer Nature 2019

Höchst problematisch: die jüngste FDA-Zulassung einer Prognose-App

Die Ergebnisse der vom Unternehmen durchgeführten Studien zu Natural
Cycles weisen allesamt große Mängel auf. Hauptkritikpunkte sind: lückenhafte Daten, unsichere Identifizierung der ungeplanten Schwangerschaften, falsche Berechnung der Methodensicherheit/„perfect use“; hoher Drop-out, Datensammlung und -auswertung vom Unternehmen selbst.

Die jüngste, prospektive Studie [24] weist zwar sehr große Fallzahlen auf
(22.785 Frauen; 18.548 Frauenjahre), jedoch waren nach einem Jahr 54 % der Anwenderinnen bereits wieder ausgeschieden, bei vielen blieb unklar, ob dies wegen einer ungeplanten Schwangerschaft geschah. Deshalb hat man diesen „lost to follow up“ in 3 Kategorien eingeteilt: „wahrscheinlich schwanger“, „unwahrscheinlich schwanger“ und „möglicherweise schwanger“. Nur die erste Kategorie floss in die Berechnungen zur Verhütungssicherheit ein. Damit wurde von vornherein ein unbekannter Anteil an möglichen ungeplanten Schwangerschaften ausgeschlossen, allein in der Kategorie „möglicherweise schwanger“ 402 Frauen. Die Autoren konzedieren selbst, dass der Schwangerschaftsstatus in gewissem Ausmaß nur auf plausiblen Annahmen beruht und dass es in ihrer Art von Studie „weniger klar ist, wer als schwanger zu betrachten ist“ – ein eklatantes Problem, das keine Berechnung zur Effektivität erlaubt.

Da das Sexualverhalten in fast 70 % der Zyklen unbekannt blieb, kann auch nicht zwischen Methodensicherheit und Gebrauchssicherheit unterschieden werden. Außerdem sind die dazu angestellten Berechnungen zum Methodenversagen nicht aussagekräftig, nachdem zuvor Schwangerschaften, in denen die App die fruchtbaren Tage nachweislich falsch prognostiziert hatte, herausgenommen bzw. auf eine zu hohe Zyklusbasis bezogen wurden. Was die Gebrauchssicherheit angeht, muss man – korrekt nach dem „life table“ berechnet – von mindestens 8,3 Schwangerschaften pro 100 Frauenjahre ausgehen (heute dem Pearl-
Index gleichzusetzen). Aber selbst diese Rate dürfte noch deutlich unterschätzt sein, nachdem auch hier die „möglicherweise Schwangeren“ und die als „unwahrscheinlich schwanger“ Klassifizierten zuvor komplett ausgeschlossen wurden.

Es handelt sich um eine sog. Big-Data-Studie, nicht um eine kontrollierte Studie: Es besteht kein geschlossenes Kollektiv mit Rechenschaft über alle Ausscheider und es bleibt dem Zufall überlassen, welche Angaben die Teilnehmer machen mit der Folge lückenhafter Daten in wesentlichen Bereichen.

Die früheren beiden retrospektiven Studien des Anbieters haben ebenfalls
gravierende Schwächen und können weder dazu dienen, die vom Hersteller angegebene Präzision des Algorithmus von 0,6 % zu belegen, noch die angegebene Verhütungseffektivität [23]. Die Zweifel an der Studienqualität führten in der Fachwelt zu erheblicher Kritik in Form von mehreren „letters to the editor“ [8, 13, 25]. Es sind diese Studien, die der FDA
vorlagen und dort akzeptiert wurden.

Apps, die das fertile Fenster im aktuellen Zyklus beobachten

NFP-Apps

Symptothermale Methode
Wenn Frauen sicher verhüten wollen, kann man heute noch nicht auf evidenzbasierte Varianten der symptothermalen Methode (Double-check-Methode) verzichten, wie sie die Sektion Natürliche Fertilität der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsmedizin (DGGEF) empfiehlt [26]. Die hohe Sicherheit ist dabei nur in Kombination mit einem qualifizierten NFP-Beratungsservice nachgewiesen'[9]. Deshalb ist es erforderlich, dass Apps, denen symptothermale Methoden zugrundeliegen, die Nutzerinnen anleiten können, ihren Körper entsprechend zu beobachten. Dieser Lernaufwand betrifft die differenzierte Zervixschleimbeobachtung und die korrekte Durchführung
der Basaltemperaturmessung mit Erkennung von individuellen Störfaktoren [1]. Außerdem müssen sie bei Bedarf den Zugang zu einem qualifizierten NFP-Beratungsservice ermöglichen.

Einige Apps, z. B. Lady Cycle, myNFP sowie (mit Einschränkungen) Lily (nur
eine der 3 angebotenen Varianten) und Neome (letztere als jüngere Entwicklung allerdings mit noch prinzipiellen Fehlern), bieten in unterschiedlichem Maß solche Möglichkeiten. Dennoch kann die nachgewiesene Sicherheit der zugrundeliegenden symptothermalen
Methode nicht automatisch auf die App übertragen werden. Auch hier fehlen bisher unabhängige Studien, die den praktischen Nachweis liefern, dass die Nutzerin eine gleiche oder annähernde Sicherheit erreichen kann, wie mit der zugrundeliegenden NFP-Methode.

Symptothermal heißt nicht automatisch sicher, wenn sich die App beispiels-
weise am Zyklusanfang nur auf den Zervixschleim verlässt (z. B. Ovagraph) oder nicht auf evidenzbasierten Methodenregeln beruht. Die App OvuView ist problematisch, da ihr 17 verschiedene NFP-Methoden mit völlig unterschiedlicher bzw. unbekannter Effektivität zugrundeliegen.

Die erwiesene Sicherheit von NFP lässt sich nicht automatisch auf die symptothermale Methode übertragen!

Durch die kontinuierliche Nachtmessung mittels eines Temperatursensors in der Scheide (in Form eines Tampons oder Rings) soll die Störanfälligkeit der Temperaturmessung verringert werden [17]. Es handelt sich hierbei nach wie vor um die Messung der evidenzbasierten Körperkerntemperatur, nicht zu verwechseln mit der nächtlichen Messung der peripheren Körpertemperatur (über Armbänder o. ä.). Die kontinuierliche vaginale Nachtmessung stellt prinzipiell eine interessante technische Neuerung dar
und wird bereits von Anwenderinnen der symptothermalen Methode verwendet. Dies ist natürlich nur sinnvoll in Verbindung mit einem guten Auswertalgorithmus. Sofern daraus jedoch Prognose-Apps konstruiert werden (wie z. B. bei OvulaRing, OvuSense, Ovolane), ist dies als unseriös zu betrachten.

Temperaturmethode

Die Apps DaysyView und Ovy fußen in erster Linie auf der Temperatur als
alleinigem Parameter, jedenfalls nicht auf z.B. der Sensiplan-Methodik. Das
Problem bei Ovy ist außerdem, dass die Angabe von Tagen mit mittlerer und hoher Schwangerschaftschance für eine Kontrazeptionsmethode unbrauchbar ist und überdies teilweise aus früheren Zyklen prognostiziert wird. Der Algorithmus von DaysyView prognostiziert bereits nach 3 Zyklen den Beginn der fruchtbaren Zeit.

Eine aktuelle retrospektive Studie zu DaysyView von Koch et al. [16] ist methodisch nicht verwertbar und sollte – wie international kritisiert – zurückgezogen werden [19]. Von den 6278 kontaktierten Anwenderinnen gab es einen Rücklauf von nur 13 % (798 Frauen), die Aussagen zur Effektivität haben schon allein deshalb keine Aussagekraft. Zudem wurden
alle Frauen, die weniger als 13 Zyklen teilgenommen hatten, samt ungeplanten Schwangerschaften eliminiert.

Zyklus-Apps mit assoziierten Messsystemen

Hierher gehören Apps, die mit Messsystemen verbunden sind, welche bekannte oder neue Parameter messen (Tab. 1).

Für eine sichere Verhütung müssen auch Randbereiche der fertilen Phase erfasst werden

Schon seit Jahrzehnten testet man verschiedenste biochemische oder physikalische Parameter auf ihre Eignung zur Bestimmung des fertilen Fensters, muss jedoch ernüchtert feststellen, dass sich bisher kein ausreichend genauer Parameter finden lässt [20]. Der Versuch, die
Vorhersage mathematisch in Griff zu bekommen, geht davon aus, dass eine Trefferrate von z. B. 85 % bereits ein Erfolg ist. Dies ist jedoch für eine sichere Verhütung nicht ausreichend: Hier müssen auch die Randbereiche der fertilen Phase erfasst werden.

Hormonkonzentrationen in Urin oder Speichel

Schon seit einigen Dekaden werden Hormone in Urin oder Speichel gemessen, Abbauprodukte des Östradiols für den Beginn und LH oder Pregnandiol für das Ende des fertilen Fensters [2, 4, 20]. Derzeit wird der FSH-Spiegel im Urin als Surrogat für den Zeitpunkt der Selektion des dominanten Follikels getestet (Tab. 1). Das Hormon wird mittels Test-
streifen semiquantitativ gemessen, dessen Sichtfenster anschließend per Clip am Mobiltelefon befestigt, von der Kamera fotografiert und von der App ausgelesen.

Diverse Studien haben eine nicht unerhebliche Schwankungsbreite und damit eine unbefriedigende Sicherheit dieser Parameter gezeigt [2, 4, 11]. Unterschiedliche Konzentrationen des Morgenurins beeinflussen die Messergebnisse zusätzlich [4]. Selbst die semiquantitative LH-Messung im Urin, umgangssprachlich häufig als „Eisprungtest“ bezeichnet, weist nach neuesten Studien eine weitaus größere zeitliche Schwankungsbreite auf als bisher vermutet [2, 5,7, 18, 22].

Neue Parameter: periphere Körpertemperatur, Ruhepuls u. a.

Auf der Suche nach einer bequemeren Art und Weise der Temperaturmessung wurde die Messung der peripheren Körpertemperatur (Haut, Ohr) wieder entdeckt, die bisher von Experten stets wegen ihrer Ungenauigkeit abgelehnt wurde. Die kontinuierliche Nachtmessung z. B. via Fingerring oder Armband, übermittelt an die App, soll die erforderliche
Genauigkeit bringen (z. B. Ava, DuoFertility Monitor, Tempdrop). Im Gegen-
satz zur bewährten Körperkerntemperatur ist dieser Parameter noch hoch-
experimentell. Die ersten Ergebnisse zu den auf dem Markt befindlichen neuen Entwicklungen sind nicht sehr ermutigend. Eine erste Pilotstudie zu Ava zeigt das grundsätzliche Problem: Zwar fand sich eine gewisse Korrelation zu den Zyklusphasen, doch der Temperaturanstieg zur Ovulation wies eine erhebliche Schwankungsbreite auf und in 18 % (!) der 437 nachgewiesenermaßen ovulatorischen Zyklen konnte überhaupt
kein Temperaturanstieg festgestellt werden [28]. In weiteren 5 % kam es zu
einer sicherheitsrelevanten Fehlbestimmung: Die Ovulation trat erst nach dem von Ava festgelegten fertilen Fenster auf. Deshalb sind die optimistischen Schlussfolgerungen der Hersteller auf Basis dieser Studie nicht nachvollziehbar. An der Brauchbarkeit der peripheren Hauttemperatur als sicherem Messort und Ersatz für die herkömmliche Basaltemperaturmessung müssen deutliche Zweifel angemeldet werden. Zusätzlich zur Temperatur werden von Ava weitere Parameter, beispielsweise die Herz- oder die Atemfrequenz, gemessen: Eine Pilotstudie (n = 247 ovulatorische Zyklen) konnte zwar eine gewisse Zyklusabhängigkeit zeigen, jedoch ebenfalls mit erheblichen Schwankungen und noch keinen Hinweisen zur Auswertung hinsichtlich des individuellen fertilen Fensters [27].

Die Messung der elektrischen Leitfähigkeit in Speichel und Scheide (OvaCue) könnte demnächst auch hierzulande Eingang finden, ein Parameter, der bereits in den 1990ern als zu ungenau ausgeschieden ist [20].

Präovulatorische „Mulde“ bzw. Nadir der Körperkerntemperatur

Die Hoffnungen einiger Forschungsgruppen ruhen weiterhin auf dem altbe-
kannten östradiolbedingten temperaturdepressiven Effekt, der mit kontinuierlicher nächtlicher Messung systematisch nachgewiesen werden und dann auch für den Anfang der fruchtbaren Phase genutzt werden soll. In der Studie von Papaioannou et al. ([17]; 81 Zyklen, Korrelation zur Follikulometrie) gelang der Nachweis eines Nadirs (Dips) lediglich in 89 % der Fälle und überdies mit einer hohen Schwankungsbreite von 1–8 Tagen vor der Ovulation. Eine derartige Schwankungsbreite in einem so kleinen
Studienkollektiv deutet auf eine geringe Präzision hin.

Fazit für die Praxis

  • Prognose-Apps, die das fertile Fenster vorhersagen, sind für eine sichere Empfängnisverhütung unbrauchbar.
  • Eine weitgehend sichere Empfängnisverhütung ist aktuell nur mit
    evidenzbasierten Varianten der symptothermalen Methode möglich (s. Empfehlungen der Sektion Natürliche Fertilität der DGGEF).
    Entsprechend programmierte Apps benötigen noch unabhängige Studien nach wissenschaftlichen Kriterien.
  • Apps, die mit Messsystemen verbunden sind, die Hormone oder neue
    Parameter messen, haben die an sie gestellten Erwartungen bisher
    nicht erfüllt, denn bis heute wurde kein Parameter gefunden, der die
    notwendige Genauigkeit aufweist.
  • TÜV-Siegel, CE-Klassifizierung oder die FDA-Zulassung einer Verhütungs-App sagen nichts über die Verhütungssicherheit aus, da diese Institutionen keine eigenen Studien durchführen, sondern sich auf Herstellerangaben verlassen.
  • Bisherige Big-Data-Studien sind aufgrund der nicht kontrollierten
    Studienbedingungen wenig aussagekräftig.

Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit gibt eine Übersicht über derzeit erhältliche Zyklus-Apps, die das fertile Fenster im weiblichen Zyklus anzeigen. Prognose-Apps, die aus Daten früherer Zyklen (Zykluslängen oder frühere Temperaturanstiege) das fertile Fenster vorhersagen, sind als unbrauchbar zu verwerfen. Eine weitgehend sichere Empfängnisverhütung ist aktuell nur mit evidenzbasierten Varianten der symptothermalen Methode möglich (s. Empfehlungen der Sektion Natürliche Fertilität der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsmedizin [DGGEF]). Entsprechend programmierte Apps benötigen aber auch hier unabhängige Studien nach wissenschaftlichen Kriterien. Apps, die mit Messsystemen verbunden sind, die Hormone oder neue Parametermessen, haben die Erwartungen bisher nicht erfüllt: Bisher wurde kein Parameter gefunden, der die notwendige Genauigkeit aufweist. Die FDA(Food and Drug Administration)- Zulassung der Prognose-App Natural Cycles ist wissenschaftlich nicht nachvollziehbar.

Schlüsselwörter

Natürliche Familienplanung · Fertilität · Kontrazeption · Menstruationszyklus · Kontrazeptive Effektivität

Literatur
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Quelle des Artikels:

Frank-Herrmann P, Freis A, Freundl-Schütt T, Wallwiener L-M, Baur S, Freundl G, Raith-Paula E, Strowitzki T (2019) Zyklus-Apps zur Verhütung – sicher oder Gesellschaftsspiel? Gynäkologe 52: 90. https://doi.org/10.1007/s00129-018-4358-6

 

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